More than Honey!
Jugendreise vom 22. bis 29. April 2019 nach Göncruszka
Eine Gruppe von Jugendlichen zwischen 13 und 15 Jahren aus dem Kirchenkreis zehn reist für knapp eine Woche in den Nordosten von Ungarn. Dafür reist sie mit dem Nachtzug nach Budapest, um dann nochmals 5 Stunden mit dem Zug ins Nirgendwo von Ungarn zu fahren, in die Nähe der slowakischen und ukrainischen Grenze. Dort gehen die Jugendlichen – in die Schule. Zurück reisen sie mit ein paar Gläsern Honig und vielen Eindrücken. Und das freiwillig, in ihren Ferien. Nur des Honig wegen? Kaum!
Seit mehreren Jahren leitet das Pfarrehepaar Zsuzsa und Levente im Nordosten Ungarns eine reformierte Kirchgemeinde. In Göncruszka gibt es zu Beginn ihrer Arbeit: Ein paar Häuser, viel Armut, eine serbelnde reformierte Gemeinde und viel Nichts.
Am Ostermontag Abend machen wir uns auf den Weg nach Göncruszka, um genau diese Gemeinde zu besuchen. Wobei «genau diese Gemeinde» zu kurz gegriffen ist, ist doch in Göncruszka heute einiges anders. Es gibt eine lebendige Kirchgemeinde, eine beliebte Schule (für die obligatorische Schulzeit 1.-8. Klasse) und feinen Honig.
In Göncruszka werden wir von einem coolen, ca. 40-jährigen Typen mit dem Bus abgeholt und in unsere Unterkunft gebracht. Es stellt sich heraus, dass dieser Busfahrer, Levente, der Pfarrer, ist. Kaum sind wir in der Unterkunft, verschwindet Levente wieder. Vielleicht muss Levente noch kurz in die Imkerei, die der Kirchgemeinde gehört.
Eine Imkerei, die eher ausversehen entstanden ist. Levente erbt von seinem Vater Bienenvölker, lässt diese aber unbeaufsichtigt. Nachdem der Nachbar 90 Bienenstiche davonträgt, merkt Levente, dass er auf die Bienen acht geben müsste.
Zusammen mit den Gemeindemitgliedern gewinnen sie im ersten Jahr den Honig. Eine Aktivität, bei der Jung und Alt zusammenarbeiten, worauf die Gemeinschaft gefestigt wird. Die Honigernte – eigentlich nur für die Gemeindemitglieder gedacht – ist aber so gross, dass die Gemeinde beginnt, den Honig zu verschenken. Weil Kontakte nach Zürich (früher Kirchgemeinde Wipkingen, heute Kirchenkreis 10) bestehen, verschenkt man den Honig bis hierhin. Daraufhin spenden die beschenkten Leute Geld nach Göncruszka.
Tief beeindruckt besuchen wir mit unseren Jugendlichen die Räume der Imkerei sowie das Pfarr- bzw. Gemeindehaus. Wir merken: Das ist nicht einfach eine Imkerei und kein normales Gemeindehaus. In diesen Räumen findet Gemeindeleben statt, es wird zusammen gearbeitet, gelebt, geredet über Gott und die Welt.
Die Welt – die findet nicht in Göncruszka statt, sondern in Budapest, Westeuropa oder den USA. Arbeit findet sich praktisch nur in grossen Wirtschaftszentren oder im Westen, weshalb die Bevölkerung im arbeitsähigen Alter kaum in Göncruszka vertreten ist. Zurück bleiben Kinder, Jugendliche, Alte und Armut. Besonders gross ist die Armut unter den Roma, welche vor allem im Nachbardorf leben, und wo die reformierte Gemeinde ebenfalls tätig ist.
«Gott liebt uns. Er hat uns viel Gutes getan. Und wir wollen diese Liebe weitergeben. Wir wollen, dass Gottes Reich Wirklichkeit wird». Eindrückliche Sätze wie diese sagt Pfarrerin Szusza, als wir mit ihr das Gemeindehaus im Nachbardorf besuchen. Szusza und Levente betreiben dort das «Schutzhaus» – von den Roma so genannt. Im Schutzhaus sehen wir Infrastruktur, die es zulässt, dass Mütter ihre Kinder in Ruhe wickeln und waschen können, Wäsche waschen dürfen und einfach mal zur Ruhe kommen können. Wir nehmen an einem Jugendnachmittag teil, an dem Roma von sich aus vorbeikommen. Sie diskutieren miteinander, kochen manchmal etwas und nehmen an Gesprächsrunden zu biblischen Geschichten teil, die Szusza führt. Unsere Gruppe wird gleich integriert, knüpft Kontakte zu den anderen Jugendlichen und staunt – ob dieser Arbeit, der Offenheit von Szusza, aber auch ihrem selbstverständlichen Statement zu ihrer Motivation für diese ganze Arbeit: Gott liebt uns, und die Menschen sollen das erfahren.
An 3 Morgen unter der Woche erfahren wir auch: Das Leben spielt wieder, in Göncruszka. Nicht zuletzt wegen der Schule, welche die reformierte Gemeinde betreibt. Gab es vorher keine Schule im Dorf, so begannen Szusza und Levente vor 9 Jahren mit einer kleinen Schule und ca. 16 Schülerinnen und Schüler, ganz klein.
Die Schule die wir treffen, hat über 180 Kinder. Sofort fühlen wir uns wohl. Die Lehrerinnen integrieren unsere Jugendlichen gleich in den Unterricht – vor allem Englisch und viel über Bienen lernen wir (während unserer Woche findet an der Schule eine Projektwoche zu dem Thema statt). Schnell merken unsere Jugendlichen bei den Gruppenarbeiten: Deutsch kommunizieren lässt sich kaum; mit Englisch geht es beidseitig etwas besser, aber am einfachsten ist es mit Händen und Füssen. So knüpfen wir viele Kontakte und Freundschaften, die wir auch nachmittags beim Fussballspielen weiter pflegen oder abends bei unserem Gästehaus.
Gepflegt wird diese Schule, das merken wir. Ein Wohnzimmer sollen die Kinder haben, heisst es. Sie sollen sich in der Schule wohlfühlen. Das merken wir an der Einrichtung, aber auch an der Stimmung. Auch in der Schule treffen wir immer wieder auf den Gedanken: Gott liebt die Menschen, und die Menschen sollen das erfahren. Dieser Gedanke trägt die Schule: Sowohl Schülerinnen und Schüler, als auch die Lehrerinnen und Lehrer. Levente und Szusza unterstützen diese seelsorgerlich, machen Schulgottesdienste und nähren so auch die Schule mit ihrem Glauben und ihrer Motivation. «Die händs ja mega schön da», hören wir von unseren Jugendlichen.
Solche Begegnungen sind inspirierend und machen auch müde, weshalb wir doch froh sind, können wir abends jeweils in unser Gästehaus zurück. Dort kochen und essen wir gemeinsam. An abendlichen Schlussrunden diskutieren wir das Gesehene nochmals, sprechen über die Motivation (Gottes Liebe) für die ganze kirchliche Arbeit. Wir diskutieren, was uns beeindruckt hat, wie es uns gegangen ist, und wachsen so auch als Gruppe zusammen.
Zusammen fahren wir am Samstag früh dann wieder gen Westen – zuerst nach Budapest, wo wir noch etwas Sightseeing machen, dann mit dem Nachtzug weiter nach Zürich, wo wir am Sonntag Morgen wieder ankommen. So hören wir in den letzten Stunden unserer eindrücklichen Reise immer wieder: «Ich chum wieder»!
Bericht von Mitte Mai 2019, Vikar Hannes Witzig (bis Ende Juli 2019)