Persönlich: Anteilnahme

Eine Freundin, die ein Kind verliert. Familienmitglieder, die sich scheiden lassen. Ein plötzlicher Todesfall. Solche Nachrichten erreichen uns leider viel zu oft – meist unerwartet und ohne Vorwarnung. Was es auslöst:
Trauer, Schock, Anteilnahme.

Manche Nöte sind sichtbar. In der Stadt begegnen sie mir überall. «Hesch chli Münz?» Meistens halte ich einen «Zweifränkler» in der Hosentasche bereit, damit ich mein Portemonnaie nicht hervorkramen muss. Ich empfinde Scham und Verlegenheit, so viel zu besitzen und nur so wenig davon zu teilen. Und doch liegt in diesem Geben vielleicht mehr, als es auf den ersten Blick scheint. Ein Wortwechsel, ein kurzes Innehalten, eine Geste der Anteilnahme.

Doch es gibt auch Nöte, die unsichtbar sind. Menschliches Leiden, das unbemerkt bleibt. Schieflagen, über die niemand spricht. Stress, Erschöpfung, seelische Wunden. Auch Anteilnahme zeigt sich nicht immer in sichtbaren Gesten – manchmal zeigt sie sich im stillen Mitfühlen. Anteilnahme. Am Schicksal eines anderen Menschen teilhaben. Sich berühren lassen. Nicht-Wegsehen, sondern Hinsehen, Mittragen, Mitfühlen.
Anteil nehmen hat auch mit Mut zu tun, sich einem anderen Menschen ganz zuzuwenden. Oft beginnt das ganz unspektakulär – mit meiner Aufmerksamkeit, die ich auf mein Gegenüber richte. Indem ich mir Zeit nehme, aufrichtig zuhöre und ehrliches Interesse zeige. Denn: Oftmals fehlt die Zeit – und damit der Blick für das Leid anderer.

Anteilnahme heisst nicht, Lösungen zu bieten. Es heisst vielmehr: da sein, das Gegenüber wahrnehmen, mitaushalten, ein Stück des Schmerzes mittragen. Ich trauere mit. Ich fühle mit. Ich lasse mich von deinem Schmerz berühren. Ich trage mit, was dich bewegt, und lasse dein Leid nicht gleichgültig an mir vorbeiziehen. Dadurch entstehen echtes Mitgefühl und menschliche Nähe. Anteilnahme zeigt sich nicht nur im Schmerz. Auch Freude will geteilt werden.

Das Anteilnehmen begegnet uns auch im Mitfreuen – über das Gelingen anderer, über Erfolgserlebnisse und Glücksmomente, die uns und unseren Mitmenschen tagtäglich widerfahren. Ich erachte die gegenseitige Anteilnahme als kostbares Geschenk. Sie lässt uns menschlicher werden – und verletzlich bleiben. Für die Not, aber auch die Freude anderer. Und sie erinnert uns nicht zuletzt daran, dass wir einander brauchen.

DenkMal von Sozialdiakonin Anna Schwaller

Dieser Beitrag wurde fürs reformiert.lokal im November verfasst. Sie finden die Ausgabe hier.