«Va bene» ist lanciert – Kurse beginnen

Monika Stocker, ehemalige Vorsteherin des Zürcher Sozialdepartements und noch immer Vollblutpolitikerin, führte die Anwesenden in die Thematik des Alterns ein. Es sei schwierig, «Alter» überhaupt anzusprechen, meinte die Sozialarbeiterin, bei den meisten löse es nur ein Stirnrunzeln aus. Vorurteile seien noch immer fest in den Köpfen der Menschen verankert, obwohl sich allein in der letzten Generation vieles verändert habe. Die Lebenserwartung habe einen veritablen Quantensprung gemacht, meinte Stocker. Eine neue Lebensphase sei dazugekommen: Nach der Kategorie «Alter» folgt nun das «Hochalter». Dieses beginnt, wenn die körperlichen und psychischen Einschränkungen so stark sind, dass die Person Hilfe benötigt. Der Anteil pflegebedürftiger Menschen über 85 Jahre liegt zurzeit bei 34 Prozent, bei den über 90-Jährigen sind es 50 Prozent. Der grösste Teil der Betreuungsleistungen werde von Angehörigen gestemmt, sagte Stocker. Sie sprach an diesem Abend auch heikle Themen an, wie die aus Überforderung entstehende Gewalt, zu der es kommen kann, wenn Angehörige ihre eigenen Eltern pflegen müssen. Ganz Politikerin, konnte sie es sich nicht verkneifen, mehrfach die Sparmassnahmen des Kantons bei der Altersbetreuung zu kritisieren.

Langfristige Beziehungen aufbauen

Nach dem aufschlussreichen Vortrag kamen die Veranstalterinnen des Abends zum eigentlichen Kern des Anlasses: Die Lancierung eines Besuchsdienstes «Va bene – besuchen, begegnen, begleiten». Pfarrerin Elke Rüegger-Haller von der Reformierten Kirche Wipkingen West, Patricia Lieber, Diakonische Mitarbeiterin der Katholischen Kirche, Pfarrerin Anne-Marie Müller von der Reformierten Kirche Höngg, Eva Niedermann von der Reformierten Kirche Kanton Zürich und Vreni Ruckdeschel von der Nachbarschaftshilfe Affoltern, erläuterten den zahlreich erschienenen Gästen, wie es zu «Va Bene» gekommen war und wie sich dieser Besuchsdienst von anderen Angeboten wie KISS oder der Nachbarschaftshilfe unterscheidet. Wie der Zusatz «besuchen, begegnen, begleiten» sagt, geht es bei «Va bene» darum, längerfristige Beziehungen und Begegnungen mit Menschen im Alter zu pflegen. Im Alter schrumpfen die Beziehungsnetze oft, da Lebenspartner und Freunde sterben, Nachbarn wegziehen und das selbstständige Ausgehen durch körperliche Einschränkungen erschwert sein kann. «Der Besuchsdienst bietet die Möglichkeit für Gespräche, Austausch und – wenn gewünscht – Beratung», steht auf dem Informationsblatt der ökumenisch aufgestellten Initiantinnen.

2011 wurde «Va bene» in sieben Projektgemeinden, darunter Affoltern, lanciert. Manche Besuchende begleiten ihre «Besuchsempfänger*innen» lange Jahre, manchmal sogar bis ganz zum Schluss. «Es ist ein grosser Vorteil, wenn sich die Menschen schon kennen, bevor eine besuchte Person tatsächlich zum Pflegefall wird», weiss Vreni Ruckdeschel, die sich als Vermittlerin bei «Va bene» und in der Nachbarschaftshilfe in Affoltern engagiert. «Es ist schwierig, in dieser Situation noch eine neue Person kennenlernen zu müssen, und extrem wertvoll, wenn dann schon jemand da ist, zu dem ein Vertrauensverhältnis besteht». Um ein solches aufbauen zu können, besuchen Interessierte regelmässig, das heisst wöchentlich oder zweiwöchentlich, eine betagte Person. Sie unterstützen sie in verschiedenen Belangen und interessieren sich für ihr Wohlbefinden. In einer Schulung, die vier Abende und einen Samstagvormittag umfasst, werden die Besuchenden für ihren Einsatz vorbereitet. Dort wird auch vermittelt, auf welche Angebote die betagten Menschen zurückgreifen können und an welche Fachstellen sie sich wenden können. Im Kurs werden auch die verschiedenen Aspekte angesprochen, die bei einem Einsatz zum Thema werden können. «Das klingt jetzt alles sehr anspruchsvoll», meinte Eva Niedermann. «Aber: Es ist Freiwilligenarbeit. Das heisst, man muss es nicht perfekt machen». Viel wichtiger sei es, als Mitmensch da zu sein, Situationen gemeinsam auszustehen, auch mal die Ratlosigkeit teilen zu können. Kontakt zu Fachpersonen gäbe es im Alter bereits genug.

Kursteilnahme verpflichtet nicht zum Einsatz

Voraussetzung für einen Einsatz sei eigentlich nur, dass man Menschen möge und sich gerne mit ihnen, aber auch mit sich selber, auseinandersetze, meinte Vreni Ruckdeschel. Eine Alterslimite gäbe es nicht und auch die religiöse Zugehörigkeit spiele keine Rolle. Eine gewisse Lebenserfahrung sollte man allerdings schon mitbringen. Patricia Lieber betonte, dass das Absolvieren der Schulung nicht zum Einsatz verpflichte. «Wer interessiert ist, ist willkommen, unabhängig davon, wie es danach weitergeht». Der Kurs wird von den Institutionen gratis angeboten, nicht besuchte Abende können in einer anderen Gemeinde nachgeholt werden.