Woche 4 / 6.–12. April

Ostersonntag, 12. April – Matthias Reuter

Ostermorgen

Noch im Dunkel des Ostermorgens erwache ich von einem wunderbaren Konzert. Es pfeift, singt, tiriliert, zwitschert aus vielen Kehlen. Bei offenem Fenster werde ich jetzt im Frühling oft von den Vögeln geweckt. Situationsbedingt ist zur Zeit der Kontrast zur morgendlichen Stille schon fast ohrenbetäubend.

Was ich im Frühling besonders schätze, neben all den wunderbaren, vielfarbigen Blüten, ist der Vogelgesang nach dem grauen und stillen Winter. «Frühling will nun einmarschieren» künden sie an, wie es so schön in dem alten Lied «Alle Vögel sind schon da» heisst. In den letzten Tagen wurde der Gesang immer lauter und spektakulärer. Um das geniessen zu können, brauchen wir nicht einmal das Haus zu verlassen. Es reicht, das Fenster zu öffnen und zu hören. Und vielleicht auch geweckt zu werden in aller Frühe.

Der bengalische Dichter Tagore hat den wunderschönen Satz geprägt:

«Der Glaube ist ein Vogel, der schon singt, wenn die Nacht noch dunkel ist.»

Was er damit sagen will: Sich nicht entmutigen zu lassen, wenn Enttäuschungen und negative Rückmeldungen einem den Wind aus den Segeln nehmen. Wenn die Diagnose und die Prognose schlecht sind. Wenn man ganz unten ist. Glaube ist der Vogel, der singt, wenn die Nacht noch dunkel ist. Das ist eine Zuversicht, die mehr ist als Optimismus und mehr als eine «Das-wird-schon-wieder-Mentalität. Nein, das ist wahre, begründete Zuversicht, denn Glaube ist begründete Hoffnung.

Wie der Vogel ganz genau weiss, dass nach dem Dunkel der Nacht immer das helle Licht des Tages folgt, weil er es immer wieder so erfahren hat, so dürfen auch wir in der begründeten Hoffnung leben, dass wir als Kinder Gottes in seiner Liebe getragen und geborgen sind. Die Bibel ist ein Buch voller Belege dafür, dass wir schon singen können, wenn die Nacht noch dunkel ist. Wir dürfen leben in der begründeten Hoffnung «dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen» (Dietrich Bonhoeffer).

Darum singe ich – wenigstens in Gedanken – an diesem Ostermorgen: «Christus ist auferstanden, ja er ist wahrhaftig auferstanden!» Lasst uns singen, selbst wenn die Nacht noch dunkel ist.

Frohe Ostern!

P.S. heute Morgen brauchte ich trotzdem den Wecker, damit der Beitrag rechtzeitig im Netz ist …


Karsamstag, 11. April – Anne-Marie Müller

Karfreitags-Gottesdienst am Fernsehen mitfeiern

Ich habe gestern den Karfreitags-Gottesdienst am Fernsehen mit gefeiert. Die Höngger Kirche, Martin Günthard – und übers WhatsApp das Wissen, dass noch viele andere dabei sind. Es hat mich überrascht, wie tief mir diese Feier ging. Das Unser Vater zu beten mit vielen Menschen in der ganzen Stadt. Abendmahl zu feiern in meinem Fernseh-Sessel – und doch in der Kirche, in der Gemeinde. Das hat mich zu Tränen gerührt.

Ja, Gemeinde ist spürbar, auch wenn sie nicht sichtbar ist. Das tut so gut.


Karfreitag, 10. April – Matthias Reuter

Wenn niemand mehr ernsthaft damit rechnet …

Wenn niemand mehr ernsthaft damit rechnet,
dass es gut ausgehen wird,
dass alle davon lebend kommen,
oder man sich wiedersehen wird

Wenn das Unrecht und die Ungleichheit
unter uns Menschen und Völkeren zu Tage tritt
und mehr denn je zum Himmel schreit,
und die Stärkeren und Mächtigen
ihre Überlegenheit missbrauchen

Wenn Fehler ans Licht kommen,
die plötzlich nicht mehr einfach
«Päch gha» oder «kann doch mal passieren» bedeuten, sondern Leben bedrohen

Wenn einer die Schuld
auf den anderen abschiebt
und sich der aus der Verantwortung stiehlt

Wenn die eigene Schwäche
zum Verzweifeln ist

Wenn jede Mühe
als Zeitverschwendung erscheint

Wenn sich Resignation ausbreitet
und die Angst den Atem lähmt

DANN, dann ist
nein, nicht Corona-Krise 2020,
dann ist: Karfreitag.

Was bedeutet Karfreitag? Ich denke an ein Gedicht von Lothar Zenetti, einem katholischen Theologen, mit dem Titel. «Am Ende die Rechnung». Das beginnt so:
«Einmal wird uns gewiss die Rechnung präsentiert …» Wird uns in der Krise jetzt nicht auch ganz konkret die Rechnung präsentiert für Versäumnisse, für Fehler,
für Leichtsinn und Überheblichkeiten?

Das ist eben Karfreitag. Karfreitag handelt von unserem Leben, vom dunklen Teil unse-res Lebens. Von der Angst und dem Schmerz. Von der Not und der Ausweglosigkeit. Von Schuld und Sprachlosigkeit.

Karfreitag erinnert uns an unser Leben:
An das, was wir verloren haben;
An das, was wir schuldig geblieben sind;
An das, was unerfüllt geblieben ist.

Zugleich erzählt Karfreitag die Geschichte von dem, der unser Leiden und unsere Angst, unsere Schuld und unser Schweigen in sich birgt und trägt. Er trägt den dunklen Teil unseres Lebens, den Teil auf den wir selbst nicht gern schauen, den wir gern verdrängen. Er nimmt ihn auf. Er trägt ihn, liebend. Er trägt ihn hinauf nach Golgatha, um mit ihm zu sterben; er nimmt ihn, unseren dunklen Teil mit sich, er nimmt ihn hinein in seinen Tod. Und er führt ihn zu neuem Leben. Er hilft uns wandeln. Neu anzufangen. Er hilft uns aufstehn, auferstehen. Welch eine Überraschung, wenn uns also Gott die Rechnung präsentiert. Lesen Sie selbst:

Am Ende die Rechnung

Einmal wird uns gewiss
die Rechnung präsentiert
für den Sonnenschein
und das Rauschen der Blätter,
die sanften Maiglöckchen
und die dunklen Tannen,
für den Schnee und den Wind,
den Vogelflug und das Gras
und die Schmetterlinge,
für die Luft, die wir geatmet haben,
und für den Blick auf die Sterne
und für alle die Tage,
die Abende und die Nächte.

Einmal wird es Zeit,
dass wir aufbrechen und bezahlen;
„Bitte die Rechnung.“
Doch wir haben sie
ohne den Wirt gemacht:
Ich habe euch eingeladen,
sagt der und lacht,
soweit die Erde reicht:
Es war mir ein Vergnügen!

(Lothar Zenetti)


Gründonnerstag, 9. April – Yvonne Meitner

«Der Geist ist willig, das Fleisch aber schwach» (Mk 14, 38)

Kennen Sie das?

Sie möchten am Abend ein Buch oder einen spannenden Zeitungsartikel lesen und dann fallen Ihnen schon bald die Augen zu. Oder Sie möchten jemandem eine Karte oder mindestens eine persönliche E-Mail schreiben und gerade in dem Moment, in welchem sie vor der Karte oder dem Computer sitzen, fallen Ihnen die passenden Worte einfach nicht ein.

Kurz gesagt: Wie oft nehmen wir uns etwas vor, aber führen es dann nicht aus.

Genauso ist es damals den Jüngern ergangen, die Jesus in den Garten Gethsemane begleitet haben. «Bleibt hier und wacht.»,(Markus 14, 34) hatte Jesus seine Begleiter gebeten, aber diese hatten alle versagt. Keiner hat Wache mit dem sein Unglück ahnenden Jesus gehalten.

Denken Sie, Ihnen wäre das nicht passiert? Dann gehören Sie wohl zu einer verschwindend kleinen Minderheit, bei denen die Aussage von Jesus an seine Jünger «Der Geist ist willig, das Fleisch aber schwach» (Markus 14, 38), nicht zutrifft.

Gerade weil wir Menschen nicht immer nur stark sind und der vorhandene Wille, die gute Absicht oder gar ein Versprechen ohne das damit verbundene Verhalten nicht genügen, darf ich an dieser Stelle auch etwas gestehen:

Denn vielleicht haben sich einige, die meinen letzten Blogbeitrag zum Herzensgebet gelesen haben, gefragt, wie es nun um meine Praxis steht:

Wie Sie nun wohl ahnen, die Absicht, der gute Wille ist da, aber es kommt nicht immer zur praktischen Umsetzung. Immerhin habe ich Mutmachendes in der Hinführung von Emmanuel Jungclaussen gelesen: «Krampfhafte Anstrengung und die Suche nach einem besonderen Erlebnis sind vergebens. Wenn du den heiligen Namen wiederholst, so konzentriere deine Gedanken, Gefühle und Wünsche nach und nach auf den Namen. Sammle in ihm dein ganzes Wesen. (aus Emmanuel Jungclaussen, Hinführung zum Jesusgebet, § 10).

Beim Herzensgebet steht also nicht eine spezifische Leistung im Zentrum, sondern es geht dabei um eine Haltung der Absichtslosigkeit, der Zwecklosigkeit oder anders ausgedrückt um die Hingabe an Gott.

Und ich lasse die Gedanken, die kommen wollen, kommen und auch wieder gehen. Und wenn sie mich zu fest ablenken, kann ich genau diese Gedanken in einem Gebet zu Gott bringen, dann bin ich wenigstens wieder nach Gott ausgerichtet.

Der Geist ist willig, das Fleisch aber schwach (Markus 14, 38). Diese Aussage von Jesus ist besonders bei Anfängen gültig. Bis etwas zur lieben Gewohnheit geworden ist.

Egal, was ich beim Herzensgebet erlebe, der Aspekt der Hingabe an Gott ist für mich zentral. Ich möchte Gott mindestens eine Viertelstunde pro Tag widmen, ohne konkrete Fürbitten, Segenswünsche etc. Oder anders ausgedrückt: mich absichtslos der Präsenz der Heiligen Geist(kraft) aussetzen.

Vielleicht hilft es Ihnen, wenn Sie sich in ein Bild versenken, ein Bild, das Sie in Verbindung mit Gott bringt (z.B. die Ikonen in der Ostkirche dienen diesem Zweck)? Oder keines der beiden vorgeschlagenen Wege ist Ihnen dienlich? Auch das kann, darf sein. Wichtig ist in meinen Augen, dass wir vermehrt absichtslos zu Gott kommen, dass wir versuchen, ihm einfach in der Stille Raum zu geben.


Mittwoch, 8. April – Anne-Marie Müller

Da sein

In über dreissig  Jahren Pfarramt war und bin ich immer vor allem Seelsorgerin. Was das Leben hält, wie Schweres durchgetragen werden kann, was unser Gemüt nährt, wie wir Lebenssinn finden – das sind meine Fragen auch beim Predigen und Unterrichten.

In vielen Aus- und Weiterbildungen und an ganz unterschiedlichen Arbeitsstellen habe ich gelernt, in tausendfacher Übung, dass Seelsorge als Erstes Präsenz ist. Ich muss da sein, wach und aufmerksam. Ich muss zuhören, und ich muss mich zur Verfügung stellen mit allem, was ich bin, mit allem, was ich gelernt, erfahren, gedacht habe. Ich muss präsent sein. Das ist viel wichtiger als alles, was ich sagen oder gar tun könnte. Im Pflegeheim, in dem ich als Seelsorgerin bei Demenz-Betroffenen gearbeitet habe, habe ich das noch einmal neu lernen müssen: Präsenz geht über Sprache hinaus. Menschen mit Demenz funktionieren ja nur zu einem kleinen Teil über Sprache. Natürlich war zuhören wichtig und auch reagieren, auf das, was ich verstehen konnte von dem, was mir gesagt wurde. Aber vor allem musste ich da sein. Möglichst ganz.

Präsenz bedeutet: wir sind gemeinsam in dieser Situation, wie auch immer sie ist. Ich bin da, was auch immer hier stattfindet an Veränderung, Leiden, Freude, Entdeckung, Sprachlosigkeit. Mein Da-Sein zeigt sich in Blickkontakt, Gesichtsausdruck, Körperhaltung, natürlich auch in Worten und Lauten: „Mh! Ah! O! Hm?“

Meine Existenz als Pfarrerin definiert sich in allererster Linie genau so: in Präsenz. Ich bin da.

Jetzt kann ich keine direkten Gespräche führen. Telefon funktioniert fast ausschliesslich über Sprache. Schreiben natürlich noch mehr.

Bin ich noch präsent genug?

Ich bin da. Mir bleibt ja nichts anderes übrig, wie allen anderen. Wir können fast nur noch da sein. Ein wenig reden und hören, lesen. Wir sind da. Ich sage es mir vor: Wir sind da. Wir sind gemeinsam da, auch wenn wir uns nicht sehen und spüren.

„Ich bin der ich bin“ wird der Gottesname im Ersten Testament übersetzt. Oder: „Ich bin da“.  „Ich bin der ich bin da“. Von Gott sehen wir keinen Gesichtsausdruck, keine Körperhaltung, wir hören meist weder Sprache noch Laute. Was bedeutet es, dass Gott schlicht da ist, so definiert ist als der, der da ist? Spüren wir das? Wenn Gott unsichtbar und oft unfühlbar doch präsent ist: was heisst das für uns? Wenn wir zu seinem Bild geschaffen sind: was heisst das in diesem Zusammenhang?

Liebe Gemeinde: wir sind da. Und Gott ist da für uns. Das muss im Moment genug sein.


Dienstag, 7. April – Martin Günthardt

«Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.»

Dieses Zitat begleitet mich schon ganz lange. Auch wenn es von einem überzeugten Atheisten und Gegner des Christentums stammt. Es steht im 1889 veröffentlichen Buch „Götzendämmerung“ des deutschen Dichters und Philosophen Friedrich Nietzsche. Nietzsche schwankte da bereits zwischen Genie und Wahnsinn und hinterfragte alle Wertvorstellungen seiner Zeit.

In seiner Jugend war Nietzsche ein glühender Verehrer von Richard Wagner. In dessen Musik sah er den Höhepunkt abendländischer Kultur, eine Einheit von Vernunft und Leidenschaft. Später allerdings überwarf er sich mit Wagner und warf ihm vor, mit seiner Musik zu stark die Gefühle der Menschen zu manipulieren.

In dieser Wahrnehmung trifft er sich überraschenderweise mit den Zürcher Reformator Huldrych Zwingli. Dieser war zwar ein begabter Musiker und Komponist, lehnte aber  Musik und Gemeindegesang im Gottesdienst ab. Zu gross erschien ihm die Gefahr, die schöne Musik könnte von der Konzentration auf Gottes Wort ablenken.

Im Gegensatz zu früher können wir heute fast jede Art von Musik zu jeder Zeit hören. Und zwar nicht nur aufgenommene Musik, sei es auf einem Tonträger oder übers Internet, sondern auch live gespielte Konzerte.

Leider gibt es zur Zeit natürlich auch keine Opern und Symphonien, keine Jazz- oder Rockkonzerte. Auch gemeinsames Proben als Band oder Orchester ist aufgrund der Hygienemassnahmen nicht möglich. Das fehlt mir als Musiker sehr! Daher freue ich mich schon wie ein kleines Kind auf das erste gemeinsame Musizieren in der Zeit nach Corona.

Ein kleines Trostpflaster: Heute ist die Technik so ausgereift, dass Musiker*innen in verschiedenen Räumen miteinander spielen können und das Stück so aufgenommen und zusammengemischt werden kann.

Vor einigen Tagen habe ich per Zufall auf YouTube ein Video der New Yorker Philharmoniker entdeckt, das mich begeistert. Es ist die Einspielung von Maurice Ravels berühmten Stück „Boléro“. Man glaubt es kaum: Es spielen alle Musiker bei sich zuhause im Home-Office.

Vom Pianissimo bis zum Fortissimo bestätigt dieses Meisterwerk durch seine Schönheit die Worte Nietzsches: „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.“

Hören Sie doch rein:


Montag, 6. April – Jens Naske

Geniesse dein Leben und nutze die Zeit, Gutes zu tun

Eine Supersonnenwoche liegt vor uns: blauer Himmel, Temperaturen über 20 Grad und die Flora blüht überall auf. Vor Ostern muss ich auf jeden Fall noch den ersten Rasenschnitt machen, damit der Umschwung an den Feiertagen einigermassen gepflegt aussieht. Ich habe es gut. Ich wohne im Pfarrhaus und habe einen grossen Garten. In diesen Tagen gehöre ich zu den Privilegierten, die sich ins Grüne setzen können, ohne dass sie sich in Ansteckungsgefahr begeben müssen. Das macht mir richtiggehend ein schlechtes Gewissen. Ich denke an diejenigen, die eine kleine Wohnung haben und sich in diesen Tagen drinnen aufhalten müssen. Mein schlechtes Gewissen verhindert, dass ich mich einfach in einen Liegenstuhl setze und mir die Sonne auf den Pelz scheinen lasse. Manche mögen denken: schön dumm, nimmt sich selbst mit seinem schlechten Gewissen die Freude. Manchen wird es aber auch ähnlich gehen wie mir. Sie stellen sich genauso wie ich immer wieder Gewissensfragen wie z.B. diese: Warum darf ich den Wohlstand geniessen und andere nicht? Warum lebe ich im Frieden und andere müssen vor Kriegen fliehen? Warum besitze ich so viel Überflüssiges, während es anderen am Notwendigsten fehlt?

Recht haben diejenigen, die sagen, man darf sich von einem schlechten Gewissen nicht die Freude nehmen lassen. Recht hat aber auch das Gewissen, das sich meldet und sensibel macht für diejenigen, denen es nicht so gut geht. Die Kunst im Leben besteht darin, das Schöne, das einem entgegen kommt, auszukosten, und dabei nicht die Augen vor denen zu verschliessen, die Unterstützung brauchen. Das ist mein Rat an mich selbst: Geniesse dein Leben und nutze die Zeit, Gutes zu tun! Im Moment haben wir viel Gelegenheit für beides.