Woche 5 / 13.–19. April

Sonntag, 19. April – Anne-Marie Müller

Fragen

Lockerungen des Shutdowns glänzen am Horizont. Es geht viel länger als erwünscht und erhofft, die Folgen sind nicht absehbar, aber da sind jetzt doch Termine: ab 27. April können wir zur Coiffeuse, ab 11.Mai sind die obligatorischen Schulen offen, ab 8.Juni der Zoo und die höheren Schulen.

Täusche ich mich, oder stiftet die aufkeimende Hoffnung mehr Unruhe als vorher die Sorge? Ich war notfallmässig beim Zahnarzt und bekam da eine komplette Verschwörungstheorie serviert, wie die Ausbreitung von Corona und die Sterblichkeitsrate im Vergleich zu normalen Grippen völlig übertrieben seien, wie das Virus vielleicht doch absichtlich in einem Labor in Wuhan gezüchtet worden sei, wie die Politik jetzt falsche und vor allem ungerechte Beschlüsse fälle, das Parlament koche wegen der Eigenmächtigkeit des Bundesrats…

Lange hörte und las ich vor allem von Solidarität und Tapferkeit. Jetzt, da ein Ende vielleicht in Reichweite ist (bei aller Unsicherheit!),  wachen ganz andere Regungen auf: Neid, Empörung, das Empfinden, ungerecht behandelt zu werden.

Erst, wenn Besserung in Sicht ist, erwacht die Kritik am Krisenmanagement so richtig.

Was heisst das? Ist die Gefahr für Hoffnung eben der Neid? Oder die Ungerechtigkeit? Oder Gier, jetzt möglichst Vorteile herauszuschlagen?

Oder droht für viele jetzt erst recht Verzweiflung, weil die Folgen der Schliessungen wirklich sehr bedrohlich sind und mindestens zum Teil unüberwindbare Probleme darstellen?

Wir sind noch lange nicht „aus dem Schneider“. Der Vers aus dem 2.Timotheus-Brief scheint mir jetzt besonders wichtig: „Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“

Besonnen denken an Probleme und Gefahren – in Liebe für die Menschen, die besonders gefährdet sind, aber auch für die, die leiden unter der wirtschaftlichen Unsicherheit. Kraft suchen in liebevollen Gesten und Taten, Ideen suchen in Besonnenheit. Ich sage es mir immer wieder vor: dabei bleiben!


Samstag, 18. April – Jens Naske

Von der heilsamen Wirkung des Gesangs

Unser Kirchenkreis-Gospelchor liegt mir sehr am Herzen. Kein Wunder, schliesslich gehöre ich zu den Gründungsmitgliedern des «Gospelchor Oberengstringen». In einem Chor zu singen ist eine feine Sache! Das bedeutet normalerweise einmal in der Woche gute Laune pur. Nicht nur das! «Wer viel singt, tut aktiv etwas für seine Gesundheit, sagen Forscher der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Sie haben Speichelproben von Mitgliedern eines Kirchenchores genommen, die das Requiem von Mozart sangen. Das Ergebnis: Nach der Chorprobe war die Anzahl der Immunglobuline A stark gestiegen. Die sitzen in den Schleimhäuten und sind dafür verantwortlich, Krankheitserreger zu bekämpfen. Bei den Chormitgliedern, die Mozart nur passiv anhörten, blieb die Anzahl der Antikörper gleich. Das bedeutet also, Singen unterstützt das Immunsystem und kann damit auch Erkältungskrankheiten vorbeugen
(https://www.mdr.de/wissen/singen-ist-gesund-100.html)

Diese Wohltaten des Gesangs bekommt man in unserem Kirchenkreis nicht nur im Gospel- und Kirchenchor reichlich geboten. In Gottesdiensten, kirchlichem Unterricht, Lagern und anderen Veranstaltungen wird in der Regel ebenfalls viel gesungen. Ärgerlich, dass wir diese heilsame Übung gerade jetzt, da wir sie sehr nötig hätten, in Gemeinschaft nicht pflegen dürfen. Unser Gospelchorleiter Fritz Mader hat sich daraufhin etwas einfallen lassen, wie wir doch miteinander ein Lied singen können. Er hat die Chormitglieder eingeladen, daheim ihre Stimme mit dem Handy aufzunehmen, und sie ihm zu schicken. Er wird nun die vielen Einzelstimmen im Computer zu einem Chor zusammensetzen. Ganz so einfach ist es allerdings nicht! Rhythmus und Intonation müssen stimmen. Deswegen hatte Fritz jede Chorstimme einzeln auf Band gesungen. Die Chorsängerinnen und –sänger  konnten ihn so über Ohrstöpsel hören, während sie gleichzeitig ihre Stimme einsangen. Nun sind wir sehr gespannt auf das gemeinsam erarbeitete Resultat. Und ich habe das – zugegeben sehr subjektive – Gefühl, dass meine Immunglobuline A sich dabei üppig vermehrt haben!


Freitag, 17. April – Martin Günthardt

«Gott ist auch ein Jogger.»

Dieser spritzige, vielleicht etwas provokative Titel stammt nicht von mir. Sondern vom Jesuiten Pascal Meyer. Ich habe ihn beim googlen im Internet gefunden als Beitrag im Blog «Unterwegs mit Schweizer Jesuiten». Geschrieben wurde der Text vor der Corona-Zeit, am 29. August 2019.

Pascal Meyer, offensichtlich fit und ein passionierter Jogger, beschreibt, wie er sich beim Joggen ganz intensiv mit Gott und der Natur verbunden fühlt wie sonst nur im Gebet.

Ich habe mich in den letzten Jahren immer ums Joggen gedrückt, bin aber dafür regelmässig im Hallenbad Bläsi schwimmen gegangen und wöchentlich ins Krafttraining. Beides kann ich aber im Moment nicht mehr tun.

Und so habe ich diese Woche mich schon zweimal aufgerafft, bin vom Höngger Pfarrhaus das Wettingertobel hinunter an die Winzerhalde getrabt und habe dann ordentlich rennend das Werdinseli umrundet. Als goldener Abschluss bin ich die Treppen des Chilesteigs durch den Rebberg hinaufgekeucht und so wieder über die Bauherrenstrasse heimgekommen.

Ich gestehe: das war noch ziemlich körperlich anstrengend und nicht sehr spirituell. Und doch fühlte ich mich dann, frisch geduscht, richtig zufrieden und wohl. Wieder bereit für einen weiteren Tag im Homeoffice.

Und so habe ich mich an die lateinische Redewendung erinnert: «Mens sano in corpore sano», auf Deutsch: «Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper.»

Das wünsche ich Ihnen auch von Herzen in diesen besonderen Zeiten.


Donnerstag, 16. April – Yvonne Meitner

Ganz Mensch

Ich weiss nicht, welche Gedanken Ihnen durch den Kopf gegangen sind, nachdem Sie meine letzten beiden Blogbeiträge gelesen haben. Vielleicht dachten einige, interessant, aber nichts für mich, viel zu fromm/spirituell. Und so werde ich Ihnen heute noch ein anderes Bild von mir als Pfarrerin vermitteln:

Die Corona-Krise lässt mich nicht nur spiritueller werden, sondern auch – anspruchsloser. Ja, Sie lesen ganz richtig, ich werde anspruchsloser.

Einfachste Tätigkeiten gewinnen in der Corona-Krise an Qualität, wie z.B. das Trinken einer Tasse Tee. Es ist nicht mehr nur das Aufnehmen von Flüssigkeit zwischen zwei Arbeitsgängen, sondern – da es weniger zu tun gibt – mein Blick wandert zugleich auf die Limmat, ich nehme das Funkeln der Sonne auf ihr wahr und verweile fasziniert…

Nicht dass mir das nicht schon in «normalen» Zeiten passiert wäre, nein aber angesichts der besonderen Ausnahmesituation, in der wir uns nun alle seit Wochen befinden, geniesse ich diesen zauberhaften Moment noch mehr, sauge ihn so richtig in mir auf, nehme ich mir die Zeit, in ihm zu verweilen…

Und weil auch eine Pfarrerin lockere Abwechslungen braucht, schaue ich auf einmal Sendungen im Fernsehen, von denen ich früher nicht wusste, dass es sie gibt: Z.B. habe ich die Sendung «Mini Schwiiz, dini Schwiiz» im Vorabendprogramm des Schweizer Fernsehens entdeckt. Jeweils eine Person stellt ihr Lieblingsdorf vor und scheut dabei keinen Aufwand, ihren Konkurrenten die schönsten Seiten ihres Lieblingsdorfes in den Bereichen Tradition, Kulinarik und Freizeit zu zeigen. Da die Aufnahmen im letzten Spätsommer/Herbst gedreht worden sind, verströmen sie für mich heile Welt pur.

Und welche zauberhaften Momente haben Sie erlebt oder was sind Ihre lockeren Abwechslungen in der jetzigen Ausnahmesituation?


Mittwoch, 15. April – Anne-Marie Müller

Macht Not religiöser?

Es ist ein wiederkehrender Ausspruch meiner Mutter: Wenn es den Menschen schlechter gehen würde, würden sie wieder in die Kirche kommen. Meine Mutter ist nicht allein mit dieser Meinung, ich höre sie in unterschiedlichen Betonungen immer wieder: Zuviel Wohlsein, Wohlstand, Gesundheit, Freiheit… bewirke, dass sich Menschen vom Glauben abwenden, ihn nicht mehr nötig haben.

Ich habe mich, mindestens innerlich, immer sehr gewehrt gegen diese Aussagen. Erstens soll es den Menschen gern so gut wie möglich gehen! Zweitens stellt natürlich Not viele Fragen, auch religiöse, schwierige. Aber das ist niemandem zu wünschen, und es ist unberechenbar, ob diese Fragen die Leute in die Kirche bringen oder sich erst recht von Gott und Kirche abwenden lassen.

Aber.

In unserer seltsamen, widersprüchlichen, verwirrlichen, Frage-vollen Situation im Moment erwachen mindestens in mir religiöse – nein, nicht Bedürfnisse, sondern Gefühle, Wahrnehmungen, fast so etwas wie Gewissheit – stärker als sonst. Es beginnt damit, dass mir schlicht die Gemeinde fehlt und die Arbeit. Dann merke ich, wie stark ich reagiere auf die Musik, die mir zugesendet wird über WhatsApp. Und wie mich die Gottesdienste im Internet und die Beiträge meiner Kolleg*innen auf unserer Website rühren. Wie sehr ich Gemeinschaft spüre in den vielen Telefonaten und Messages. Wie sehr ich darin nach Gott nicht frage, sondern ihn einfach voraussetze.

Als ob ich gerade in Einsamkeit und Unsicherheit Geborgenheit entdeckte.

Es ist mir nicht erklärlich, wie dies geschehen kann. Mein Kopf will das nicht. Aber mein Herz.


Dienstag, 14. April – Jens Naske

Vergessen Sie nicht, zu spielen!

Das Gegenteil vom «Spiel» ist der «Ernst». Unsere Lebenssituation ist im Moment sehr ernst. Und wenn wir an die Folgen denken, die uns noch bevor stehen, sieht es gleich noch viel ernster aus. Dem Ernst der Lage geschuldet fallen viele jetzt Spiele aus. Die Sportvereine dürfen nicht mehr trainieren. Kinder spielen nur noch mit Geschwistern und Eltern. Und die Eishockey-Weltmeisterschaft 2020 in der Schweiz, auf die sich viele gefreut haben, wird nicht stattfinden. Wie auch die schönste Nebensache der Welt – der Fussball – zur Zeit ausfallen muss. Zum Glück zeigt SRF als kleinen Ausgleich einige ausgewählte Eishockey- und Fussballhighlights der letzten Jahre in der Wiederholung. Selbst im Ernst der gegenwärtigen Lage können wir offensichtlich nicht auf das Spiel verzichten.

War lange Zeit die entscheidende Frage: Nehmen wir die Situation ernst genug? So schein mir, je länger die Krise dauert, eine wichtige Frage zu sein: Spielen wir in dieser ernsten Situation genug?

Spielen gehört zum Menschsein hinzu. Der Mensch ist nicht nur Homo faber, der schaffende Mensch, er ist auch Homo ludens, der spielende Mensch. Das Spiel ist eine wichtige Ressource unseres Lebens. Nicht zuletzt deswegen, weil es Spass macht, uns Lachen lässt und unsre Batterien wieder mit Freude auflädt. Das gilt natürlich nur eingeschränkt für diejenigen, die nicht verlieren können, weil sie das Spiel zu ernst nehmen!

Also, vergessen Sie in dieser Zeit nicht zu spielen! Glück hat derjenige, der in seiner Familie eine Jassrunde zusammen bekommt. Wer zu zweit ist, kann es mit Schach oder Halma versuchen. Und wer allein wohnt, hat immer noch die Möglichkeit zu einer Patience. Und den Jüngeren steht im Internet das Tor zum Spiel ohnehin weit offen.

Vielleicht sind diese Dienstagsgedanken aber auch eine Anregung zum Lesen. Den Homo Faber von Max Frisch haben die meisten ohnehin im Regal. Und wer etwas über den Homo ludens lesen möchte, dem sei die Programmschrift des niederländischen Kulturhistorikers Johan Huizinga aus dem Jahre 1939 empfohlen (Homo Ludens: Vom Ursprung der Kultur im Spiel). Man bekommt es zur Zeit immer noch im Online-Buchhandel. Das Buch ist geschrieben in einer sehr ernsten Zeit. Es macht bei aller Ernsthaftigkeit dennoch Spass, es heute zu lesen. Mir jedenfalls!

Nachtrag: Nachdem mein lieber Pfarrkollege Markus Fässler diesen Eintrag gelesen hatte, machte er mich darauf aufmerksam, dass in dieser Woche Spiele für Kinder auf unserer Homepage veröffentlicht werden.


Ostermontag, 13. April – Markus Fässler

Widersprüche und Spannungen aushalten

Je länger die besondere Zeit der Corona-Massnahmen dauert, desto widersprüchlicher empfinde ich die Erfahrungen. Die Prognosen weisen auf die Ernsthaftigkeit der Situation und eine kommende Zunahme der Erkrankungen und Todesfälle hin, und zugleich steigt heute schon das Bedürfnis nach Normalität, Freiheit, Treffen von Familienmitgliedern, Bekannten und Mitarbeitenden nicht nur über die medialen Kanäle, sondern wieder ganz real. Bedenken, Ängste und soziale Distanz stehen dem Verlangen nach Leben, Bewegung und Nähe gegenüber. In und um uns gibt es Tendenzen mal auf die eine und dann wieder auf die andere Seite. So leben wir in einer inneren und äusseren Spannung, die sich ab und zu auch in unserer Gemütsverfassung wiederspiegeln kann – mal so und mal so. Im Moment bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als diese Spannungen und ihre Widersprüchlichkeiten auszuhalten und dabei weder gleichgültig übermütig noch müde zu werden.

Was aber hilft mir dabei? … Es sind kleine Dinge: das Frühlingserwachen am Wegrand, ein Spaziergang, nette Worte oder ein symbolisches Zeichen. Ein solches erlebte ich am vergangenen Karsamstag.

Vor der Kirche in Höngg entzündeten wir ein Osterfeuer, wo man mit einer Kerze das Licht der Auferstehung holen und nach Hause tragen konnte. Singles, Ehepaare und Familien, etwa 50 Personen, besuchten das Feuer. Gab es schon je einen solchen Augenblick, da Erwachsene und Kinder mit einer Kerze oder Laterne sorgfältig und behutsam ein kleines Flämmchen durch das Quartier getragen haben, damit es bei ihnen zu Hause leuchten würde? Gab es schon je einmal das Verlangen, nicht für einen Gottesdienst oder einen kulturellen Anlass sich auf den Weg zu machen, sondern für ein Osterfeuer und dessen Licht? Wahrscheinlich nicht.

Für mich wurde dies zu einem «Lichtblick Ostern», wie die Aktion offiziell hiess. Sie half, unsere Situation von einer anderen Seite zu beleuchten. Es waren wenig Worte, einige Begegnungen und Gespräche und vor allem aber leuchtete das Licht ermutigend und stärkend.