Woche 11 / 25.–31. Mai

Samstag, 30. Mai – Jens Naske

Gesegnete Pfingsten und auf ein anderes Mal!

Liebe Leserinnen und Leser,
zum morgigen Pfingstfest der vorläufig letzte Eintrag in unserem Corona-Tagebuch:

Wie wohl viele Pfarrerinnen und Pfarrer habe ich die freien Abende, die die  vergangenen Wochen für uns gebracht haben, für die Lektüre theologischer Bücher, Aufsätze oder Artikel genutzt, die ich immer schon einmal lesen wollte. Dabei habe ich mich auch mit Texten des römischen Philosophen und Politikers Lucius Annaeus Seneca beschäftigt. Seneca war ein Zeitgenosse von Jesus und Paulus. Er ist im Jahre 1 n. Chr. in Cordoba geboren und im Jahre 65 gestorben. Er wurde von seinem einstigen Schüler, Kaiser Nero, genötigt, Selbstmord zu begehen. Auch wenn er kein Christ war, wurde ihm doch von christlichen Theologen stets viel Wertschätzung entgegen gebracht, so z.B. von den Kirchenvätern Hieronymus und Tertullian, aber auch von den Reformatoren Zwingli und Calvin. Aus dem 4. Jahrhundert ist uns gar ein fingierter Briewechsel vom Apostel Paulus mit dem römischen Staatsmann überliefter. Zwar ist dieser nicht echt, aber er zeugt dennoch von der Bedeutung Senecas für die christlichen Denkerinnen und Denker. Zum Pfingsfest habe ich ein Zitat aus seiner Schrift „Moralische Briefe an Luciliusausgewählt, die er gegen Ende seines Lebens an einen nur wenig jüngeren Freund schrieb. In den insgesamt 124 Briefen geht es um die Kunst des Lebens im Sinne der stoischen Philosophie. Darin habe ich auch eine Aussage über den heiligen Geist entdecken können, dessen Fest wir Christen Morgen an Pfingsten feiern:

Ich sage dir, Lucilius: in uns wohnt ein heiliger Geist, ein Beobachter und Wächter alles Guten und Bösen an uns. Dieser behandelt uns so, wie wir ihn behandelt haben. Niemand aber ist ein guter Mensch ohne Gott.” (Epistulae morales ad Lucilium IV, XLI, 2)

Ich finde, dieses Zitat ist auch ein guter Abschluss unseres Corona-Tagebuchs. Wir wollten Sie damit über die Zeit der Isolation während der Coronakrise begleiten. Wir wussten zu Beginn nicht, wie lange das gehen würde. Die Zeit der strengen Isolation ist vorbei. Gottesdienste können wieder in den Kirchen stattfinden, die Geschäfte sind wieder geöffnet. Die Zeit der Ansteckungsgefahr ist damit nicht beendet und die gesellschaftlichen Sicherheitsmassnahmen werden weitergehen. Nach wir vor sind Bedacht und Selbstschutz geboten. Und die ökonomischen Folgen werden uns noch lange zu schaffen machen. Es wäre gewiss auch interessant die nächste Zeit in einem Tagebuch festzuhalten. Nichtsdestoweniger haben wir uns entschieden unser Corona-Tagebuch mit Pfingsten zu beenden. Andere Aufgaben sind wieder wichtiger geworden. Aber vielleicht sind die vergangenen 2 ½ Monate eine Anregung, selbst wieder einmal Tagebuch zu führen, so Sie das nicht ohnehin schon tun.

Wir wünschen Ihnen weiterhin Geduld und ein grosses Stück Gottvertrauen in den kommenden Wochen und Monaten! Wie sehen uns, wenn Sie möchten!


Freitag, 29. Mai – Yvonne Meitner

Neue Erkenntnisse dank Corona-Krise?

Neben meiner Wohnungstür hängt schon lange ein Bild mit einem Spruch von Jean Giono (französischer Schriftsteller, 1895-1970), welcher mir gut gefällt:

Wir haben verlernt, die Augen auf etwas ruhen zu lassen. Deshalb erkennen wir so wenig.

Viele Menschen hatten in den vergangenen Wochen mehr Zeit, die Augen auf etwas ruhen zu lassen und sind durch diese Momente hoffentlich zu mehr Erkenntnissen gekommen.

Was haben Sie erkannt und möchten Sie auch in die Zeit nach der Lockerung mitnehmen? Oder haben Sie gemerkt, dass Sie Ihr Leben in einem wesentlichen Punkt ändern müssen und werden das nun angehen?

Leider haben unsere Erkenntnisse nicht immer nur positive Folgen: Es kann auf einmal eine langjährige Beziehung in Frage gestellt werden oder vielleicht drängt sich eine berufliche Veränderung auf. Aber was die Corona-Krise uns allen gezeigt hat und uns auch weiterhin spüren lässt:

Das Leben ist nicht so fest planbar, wie wir es uns wünschen.

Umso mehr bin ich dankbar für jeden Tag, der mir geschenkt ist, den ich geniessen kann. Und mit den anstehenden baldigen Lockerungen wird noch mehr Genuss möglich sein.

Ich wünsche mir, dass wir etwas von dieser Unverfügbarkeit von planbarem Glück und vor allem die damit verbundene Dankbarkeit für jeden schönen, erfüllenden Moment der Gegenwart in den Alltag nach Corona hinüberretten können.

Dass wir bewusster unser Leben leben und somit auch rücksichtsvoller mit unseren Mitmenschen und unserer Schöpfung umgehen.

Damit die Corona-Krise nicht nur als negative Zeit in unserem Gedächtnis bleiben wird, sondern dass wir später auch erkennen werden, was sie Positives hervorgebracht hat. Dass wir z.B. erkannt haben, was wirklich lebensnotwendig ist.

Und dass wir in gewissen Bereichen auch mit weniger zufrieden sein können.

Damit es künftig unserer Schöpfung, unseren Mitmenschen und damit auch uns selbst besser gehe.


Donnerstag, 28. Mai – Nathalie Dürmüller

Lockerungen – endlich …

Lockerungen – endlich gibt es einschneidende Lockerungen! Ich weiss noch gut, wie ungläubig ich den Kopf schüttelte, wie ich am Freitag, dem 13. März vernahm, dass die Schulen geschlossen seien ab Montag. Und jetzt kommt es mir wieder irgendwie unfassbar vor, dass sachte, ja sachte das normale Leben wieder aufgenommen werden kann. Ich spüre so ein Kribbeln in den Fingern, eine unruhige Vorfreude auf das, was kommt. Zum Beispiel #churchunited an Pfingsten. Bei uns heisst das: Am Sonntag ein richtiger Pfingstgottesdienst in Oberengstringen und in Höngg offene Kirche mit verschiedenen Pfingst-inspirierten Stationen. Schön wird das sein, sich nicht mehr nur digital, sondern auch im richtigen Leben wieder zu begegnen. Irgendwie anders. Und privat freue ich mich darauf den dritten Geburtstag unserer Tochter im Juni nun doch mit anderen zusammen feiern zu können. Das Gefühl erinnert mich an die Erfahrung beim Fastenbrechen. Nach der Fastenzeit wieder den ersten Apfelbissen so richtig geniessen und dann Schritt für Schritt die Schönheit und Vielfalt der Nahrungsaufnahme wiederentdecken. Nun dürfen wir langsam aber sicher die Erfahrung von Begegnungen im öffentlichen und privaten Raum wieder machen. Noch zögerlich und wenn möglich zwei Meter distanziert, aber doch immerhin gemeinsam mit anderen in demselben Raum. Die grosse Freiheit, die wir vor Corona hatten und nicht richtig zu schätzen wussten, ist das noch nicht. Aber ein Anfang ist es. Der Sommer kann kommen.


Mittwoch, 27. Mai – Martin Günthardt

Home Office – aus reformierter Perspektive

Ein guter Freund, der bei einer grossen Schweizer Versicherung arbeitet, erzählte mir von einer betriebsinternen Umfrage zu den Erfahrungen mit Home-Office in der Corona-Zeit. Interessanterweise, so führte er aus, haben fast alle Angestellten das Arbeiten zuhause positiv beurteilt und möchten es gerne weiterführen.

Besonders der Zeitgewinn durch das Wegfallen des Pendelns, aber auch das freiere Einteilen der Arbeitszeit wurden als Gewinn erlebt. Weniger zufrieden mit dem Home-Office aber seien die Teamleitenden und Vorgesetzten.

«Wahrscheinlich haben sie gemerkt, dass ihre Kontrollfunktion gar nicht so wichtig ist und es eigentlich auch ohne sie geht», fügte mein Freund, selber einfacher kaufmännischer Angestellter, etwas maliziös hinzu.

Als Pfarrer und Musiker, der in seinem ganzen Arbeitsleben immer im Home-Office gearbeitet hat, musste ich etwas schmunzeln. Ja, ich finde es auch einen grossen Vorteil, dass ich während dem Predigtschreiben für kurz fünf Minuten die Wäsche wechseln kann. Aber ich weiss auch, wie viele Male ich nach dem Nachtessen kurz ein Mail schreiben wollte und dann doch Stunden im Büro blieb.

Es ist klar – Home-Office setzt auf Eigenverantwortung. Und damit auf ein Arbeitsethos, das durchaus seine reformierten Wurzeln hat. Denn nach der protestantischen Arbeitsethik dankt der Mensch durch seine tägliche Arbeit Gott. Arbeit ist nie Leistung, um Gott gnädig zu stimmen, sondern dankbare Entfaltung der geschenkten Begabungen. Reformierte, so die berühmte These des Soziologen Max Weber, zeichnen sich durch hohe Selbstdisziplin und Gründlichkeit aus.

Nun, das war jetzt theologisch sehr steil und provokativ! Die Realität zeigt mir: Auch im Home-Office ist natürlich nicht jede Tätigkeit sinnstiftend. Es gibt technische Leerläufe und vor allem fehlt der spontane und direkte Austausch im Team. Aber weil weniger Kontrolle möglich ist, braucht es mehr Vertrauen zueinander.

Und Vertrauen schafft einen Geist der Freiheit, der Kreativität und frische Ideen ermöglicht. Diesen Geist der Freiheit, davon bin ich überzeugt, braucht es in unserer Reformierten Kirchgemeinde Zürich mehr denn je.


Dienstag, 26. Mai – Anne-Marie Müller

Bitte

Eines meiner Lieblingsgedichte stammt von Hilde Domin: Bitte. Weil darin alles passieren darf, was passiert und uns doch entlässt: zu uns selbst. Wir werden zu uns selbst, immer mehr. Ganz fest wünsche ich das Ihnen und mir: dass unser seltsamer Lebensweg zu einem sinnvollen Ziel führt – durch alles hindurch!

 

Bitte
von Hilde Domin 

Wir werden eingetaucht
und mit den Wassern der Sintflut gewaschen
Wir werden durchnässt
bis auf die Herzhaut

Der Wunsch nach der Landschaft
diesseits der Tränengrenze
taugt nicht
der Wunsch den Blütenfrühling zu halten
der Wunsch verschont zu bleiben
taugt nicht

Es taugt die Bitte
dass bei Sonnenaufgang die Taube
den Zweig vom Ölbaum bringe
dass die Frucht so bunt wie die Blume sei
dass noch die Blätter der Rose am Boden
eine leuchtende Krone bilden

und dass wir aus der Flut
dass wir aus der Löwengrube und dem feurigen Ofen
immer versehrter und immer heiler
stets von neuem
zu uns selbst
entlassen werden.


Montag, 25. Mai – Yvonne Meitner

Neue Meditation – neue Erkenntnisse?  (Teil 2)

In meinem letzten Blog-Beitrag vom Samstag 23. Mai habe ich ja versprochen, in einem anderen Beitrag zu schildern, was mir weiter auffällt bei meiner neuen Meditation und welche Unterschiede ich zum christlichen Glauben feststelle:

Nebst der Tatsache, dass ich die fremdsprachige Wortkombination inkl. deutscher Übersetzung jeweils nicht nachspreche, hat mir auch der vorgestrige Leitsatz eindeutig Unterschiedliches zum christlichen Glauben gezeigt: «Durch das Gesetz des puren, reinen Potentials (= Gesamtheit aller vorhandenen, verfügbaren Mittel, Möglichkeiten, Fähigkeiten, Energien) kann ich alles, jederzeit und überall erschaffen.» Dieser Satz allein für sich betrachtet, würde mich mit Gott gleich setzen. Gleichzeitig kommt mir dazu aber auch ein Satz aus dem Markusevangelium (9,23) in den Sinn, welcher Jesus einem Vater eines schwerkranken Kindes auf dessen Zweifel sagt: «Was soll das heissen: Wenn du etwas vermagst? Alles ist möglich dem, der glaubt.»

Alles ist möglich dem, der glaubt. Dieser Satz ist ein verheissungsvoller, mutmachender Satz, aber gleichzeitig auch ein unmöglicher Satz.

Denken Sie z.B. an einen Menschen, der schwer krank ist. Wenn dieser Mensch also nun nur genug glaubt oder sich es genug gut vorstellt – gemäss Anweisung der vorgestrigen Meditation -, wird dieser Mensch wieder gesund werden. Schön wäre das und selbstverständlich glaube ich als Pfarrerin und Christin an Wunder.

Aber Wunder geschehen, werden uns geschenkt und können nicht einfach nach Belieben und mit genug Glauben oder der «richtigen» Vorstellungskraft/Bewusstsein gemacht werden!

Immerhin wird dann bei der Tagesaufgabe der Leitsatz noch konkretisiert und dabei ist von Gesundheit natürlich nicht die Rede resp. nur, was wir z.B. anderen Menschen mit Freude teilen und weitergeben können. Und es wird unter anderem auch noch ein Zitat aus dem Buch «Die sieben Wege zur Effektivität» von Stephen R. Covey hinzugefügt: «Die Kunst des Wir: Wahre Grösse setzt eine Überflussmentalität, uneigennütziges Denken mit gegenseitigem Respekt zum beiderseitigen Wohl, voraus.»

Beim Studieren der Website zum Mediationskurs finde ich jedoch Folgendes:

«In den jeweils etwa 15-minütigen Einheiten des Kurses geht es um die Energie der Anziehung, die wir nutzen können, um unsere Wünsche zu verwirklichen – und zwar einzig durch die Kraft unseres Bewusstseins.»

Wie ich bereits in meinem letzten Blog-Beitrag berichtet habe, macht es durchaus Sinn, sich selbst zu lieben und ist es sicher auch erlaubt, Wünsche zu haben, sich deren Verwirklichung auszumalen und vor allem auch selbst dazu beizutragen, dass sie in Erfüllung gehen.

Aber je länger je mehr habe ich den Eindruck, dass die Ausrichtung auf die Quelle unendlicher Fülle, die wir Christinnen und Christen Gott nennen, beim Mediationskurs nur oder mindestens teilweise Mittel zum Zweck ist.

Dass Gottesliebe – welche uns Christinnen und Christen ja durch das Doppelgebot der Liebe (z.B. Markusevangelium 12, 29-31) aufgetragen ist – kein Thema ist.

Da der gestrige Leitsatz «Heute und jeden Tag gebe ich das, was ich erhalten möchte.» mir wieder entspricht, bleibe ich weiterhin dabei und lasse mich überraschen, was noch kommt.