Eine Woche verbringen die 7.-Klässler*innen aus Göncruszka, einer Kleinstadt im Norden Ungarns, in der Schweiz – zu Besuch bei zwei verschiedenen Kirchgemeinden, die ihre Schule finanziell unterstützen. Eine der beiden Gemeinden ist der Kirchenkreis zehn.
Diszipliniert und hochkonzentriert stehen die 26 Jugendlichen aus dem ungarischen Dorf Göncruszka an diesem Sonntagnachmittag, dem 22. September, auf der Bühne des reformierten Kirchgemeindehauses in Höngg und warten auf ihren Einsatz. Die Mädchen tragen blau-weisse Trachtenkleider mit weisser Schürze, die Jungs nur schwarze Westen über der normalen Strassenbekleidung – der Rest der Trachten, das gesteht der sie begleitende Pfarrer Levente Sohajda augenzwinkernd in seinen Begrüssungsworten, ist leider im Stress des Einpackens zu Hause in Ungarn vergessen gegangen.
Jugendliche mit Leidenschaft
Durch solche Kleinigkeiten lassen sich die Schüler*innen jedoch nicht beeindrucken. Sie sind mit ihrer gesamten Klasse und fünf Begleitpersonen extra aus Ungarn angereist und haben eine Busfahrt von 18 Stunden hinter sich gebracht, um hier im Kirchenkreis 10 etwas von dem, was sie in der Schule gelernt haben, zum Besten zu geben. Mit einem Gesangs-Solo einer Schülerin, mutig und ohne Zögern vorgetragen, startet ihre Darbietung, die Mitschüler*innen stimmen ein, traditionelle ungarische Volkslieder erfüllten den Raum. Doch nicht nur singen können die Kinder: nach ein paar stimmungsvollen Liedern beginnen sie sich im Kreis aufzustellen, Arm in Arm, Mädchen und Jungs, und drehen sich in traditionellen Gruppentänzen im Takt der Musik. Die Freude am Tanz und an der Musik steht ihnen ins Gesicht geschrieben, alle sind voll und ganz bei der Sache und können mit ihrer guten Stimmung, den eingängigen Rhythmen ihrer Tänze und den einfach zu erlernenden Schrittfolgen im Anschluss an ihre Darbietung sogar das Publikum dafür begeistern, bei den Tänzen mitzumachen.
Ein wachsendes Projekt
Der Auftritt der Jugendlichen ist Teil eines Benefizkonzerts, das der Kirchenkreis für die «Talentum»-Schule, die alle Jugendlichen besuchen, organisiert hat. Vor dem Auftritt der Jugendlichen hat bereits die Konzertpianistin Agnes Kövecs ein virtuoses Konzert vorgeführt. Gefühlvoll und leidenschaftlich hat die gebürtige Ungarin das Rondo in D-Dur von Wolfgang A. Mozart sowie 24 Préludes von Frédéric Chopin wiedergegeben, sehr zur Begeisterung der über 100 anwesenden Gäste. Das Konzert soll den Betrieb der Primarschule, die 2011 in Göncruszka von der Kirchgemeinde des Dorfes gegründet worden war, sichern. Der ideelle und finanzielle Aufwand dafür ist gross: in einer ständig wachsenden Schule muss nicht nur bestehende Bausubstanz renoviert, sondern auch an- und ausgebaut werden. Seit der Gründung der Schule ist schliesslich viel passiert: Besuchten im ersten Jahr 16 Kinder in einer einzigen Klasse die Schule, sind mittlerweile bereits 234 Schüler*innen von 3 bis 14 Jahren Teil des Projekts, Tendenz steigend.
Mit Musik und Tanz etwas zurückgeben
Bereits seit der Gründung der Schule besteht die Partnerschaft mit der Kirchgemeinde Wipkingen – und seit der Fusion der Kirchgemeinden nun mit dem Kirchenkreis 10. Ebenso lange besucht auch Schulleiter und Pfarrer Sohajda jedes Jahr mit der siebten Klasse seiner Schule die Schweiz, einerseits, wie er sagt, «um eine kleine Gegenleistung für all die Unterstützung zu geben, die wir von den Zürcher Kirchgemeinden erhalten.» «Andererseits», so erklärt er in einem kurzen Gespräch am Rande der Veranstaltung, «verfolgen wir mit unseren Reisen immer auch das Ziel, unseren Schüler*innen ein Gemeinschaftserlebnis vermitteln zu können.» Denn viele der Schüler*innen stammen aus eher problematischen sozialen Verhältnissen und sind nun zum ersten Mal in ihrem Leben überhaupt auf einer Reise ins Ausland. «Diese Reise bedeutet den Jugendlichen sehr viel. So kombinieren wir Ausflüge in der Schweiz mit kleinen Auftritten», fährt Sohajda fort, und sein junger Pfarrkollege, Marc Szabo, der in der Schule nicht nur als Pfarrer, sondern gleichzeitig auch als Thai-Box-Coach zuständig ist, pflichtet ihm bei. Auch er hält die Reise für ein wichtiges und grosses Erlebnis für die Kinder – weit weg von den Eltern, in einem Land, das sie vorher höchstens vom Hörensagen kannten.
Eine Schule fürs Leben – in einer nicht unproblematischen Gegend
Die Klassenreise, das wird in den abschliessenden Ausführungen Sohajdas an diesem Sonntagnachmittag klar, ist nur eines der vielen Projekte des Schulleiters und seiner Kolleg*innen, die ihren Bildungsauftrag ernst nehmen und versuchen, nicht nur klassische Schulfächer zu unterrichten, sondern den Kindern und Jugendlichen Grundwerte wie Toleranz, Respekt und Rücksichtnahme zu vermitteln. Vor allem aber wollen sie sie darin bestärken, ihre eigenen Talente und Begabungen zu erkennen und zu fördern. Das ist in der sozial eher schwachen Gegend, in der Göncruszka liegt und wo Abwanderung in die Grossstädte sowie die soziale Integration von Romakindern grosse Themen sind, nicht immer ganz einfach. Doch offensichtlich – auch das ist an diesem Nachmittag angesichts der Zufriedenheit und der Hingabe, mit der die Kinder auftreten, unschwer zu erkennen – geht die Rechnung auf.